DAS LEBEN IST EIN RUHIGER FLUSS
Gemächlich schiebt sich die MS Wilhelma an Weinbergen, Wald und Wiesen vorbei. Das Schiff befährt rund um Stuttgart den Neckar. Und der Kapitän beantwortet unterwegs alle Fragen.
„Was passiert eigentlich, wenn der Kapitän ermordet wird?“ Erschrocken schaut der Schiffsjunge die kurzhaarige Dame mit der Sonnenbrille an, die mit ihrer Frage im Türrahmen aufgetaucht ist. Sein Chef, der Kapitän, bleibt entspannt auf dem Drehstuhl am Steuerstand sitzen, offenbar bekommt Jörg Stürmer solche Fragen öfter gestellt. „Na ja, dann fährt das Schiff irgendwann gegen das Ufer und bleibt stehen“, antwortet er in ruhigem Tonfall. Mit einem enttäuschten „Ach so!“ begibt sich die Frau zurück aufs Freideck. Sie ist Krimi-Autorin, wie sich später herausstellt.
Die MS Wilhelma ist mehr als ein Rundfahrtschiff. Auf dem sogenannten Salonschiff können es sich die Passagiere richtig gut gehen lassen. Das Serviceteam ist aufmerksam, flitzt unauffällig zwischen den Tischen hin und her und versorgt die Gäste mit Erfrischungsgetränken, Speisen oder Kaffee und Kuchen. An sonnigen Tagen wie heute bleibt die gemütliche Captain’s-Lounge leer. Die knapp 60 Gäste haben es sich auf den beiden offenen Decks gemütlich gemacht und genießen bei Eisschokolade oder Wein den sanften Fahrtwind, den Ausblick und die Sonne.
Eine sechsstündige Rundtour bis Marbach
Die
MS Wilhelma ist Teil der Neckar-Käpt’n-Flotte, die ihren Heimathafen vor dem
zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in Bad Cannstatt hat. Das zweistöckige,
37 Meter lange Schiff absolviert neben Sondertouren mit Lesungen oder
Weinproben auch Linienfahrten wie die heutige Rundtour von Stuttgart nach
Marbach. Wer möchte, kann unterwegs aus- oder zusteigen oder aber die sechsstündige
Rundreise genießen.
Begleitet vom sonoren Brummen der Maschine schiebt sich die MS Wilhelma über
den Neckar. Bereits wenige Minuten nach dem Start hat sich die Uferszenerie,
die zunächst städtisch war, in ein Meer aus Grün verwandelt. Laubbäume,
Trauerweiden und Büsche wachsen dicht neben- und übereinander, wie im
Wettstreit um die beste Aussicht auf den Fluss. Ein Kranich stakst nah am Ufer
entlang. Einige Meter weiter rettet sich ein Stand-up-Paddler vor den Wellen,
die das Schiff verursacht, indem er sich an einem dicken, über das Wasser
ragenden Ast festhält. Die Bad Cannstatter Weinberge erheben sich hinter einer
Flussbiegung. In den Stuttgarter Steillagen werden Trollinger, Riesling und
Kerner angebaut. Wie ein Amphitheater wachsen die Berge treppenförmig empor –
die Ränge von Reben und Sandsteinmauern beige-grün gefärbt, mit roten
Mohnblumen-Akzenten.
Alles Routine
„Wilhelma zu Tal bei 167“, sagt Stürmer in den Hörer, bevor er ihn zurück an die Funkanlage hängt – er erhält ein unverständliches Rauschen zur Antwort. Er nickt, das war das Okay von der Schleuse. Nach 14 Jahren als Neckar-Kapitän fällt es ihm leicht, die statischen Störgeräusche der Funkkommunikation zu entschlüsseln. „Mach dich bereit zum Schleusen, Eddi. Wir dürfen direkt reinfahren.“ Während der Kapitän sein Schiff geschickt in die 110 Meter lange Schleuse manövriert, zieht Eddi die Schwimmweste über. Das Schleusentor schließt sich, der Wasserpegel sinkt, der Schiffsjunge muss das Schiff immer wieder ein Stück tiefer mit einem Tau sichern, alles Routine.
Würden die Steinwände der Schleuse nicht langsam an den Seiten des Boots höher und höher aufragen, bekäme man das Abschleusen fast gar nicht mit, so leise fließen die neun Millionen Liter Wasser ab. Das untere Tor öffnet sich, die Schleusenampel springt auf Grün und Stürmer führt die MS Wilhelma weiter stromabwärts.
Schon seit 1997 ist Kapitän Stürmer auf dem Neckar unterwegs, seit 2006 sitzt er am Steuer. Das ist heute ein Joystick, ein echtes Steuerrad haben nur noch die wenigsten Schiffe. Er kennt den Fluss wie seine Westentasche und freut sich doch bei jeder Fahrt auf seine Lieblingsstellen: die Hessigheimer Felsengärten zum Beispiel, die idyllische Strecke zwischen Poppenweiler und Marbach, auf der die Landschaft ein ständiger Wandel aus Wiesen, Wäldern und Weinbergen ist – oder, besonders schön auf dem Rückweg zu sehen, den Zusammenfluss der Rems mit dem Neckar mitsamt den beeindruckenden Glasbrücken, die über die beiden Flüsse gespannt sind.
Während Stürmer entspannt in seinem Kapitänshäuschen sitzt, wird an Deck das Essen serviert, es gibt Maultaschen mit Kartoffelsalat oder Linsen mit Spätzle. Auf einer Schiffsfahrt lässt man es sich gut gehen. Auch der Krimi-Autorin schmecken die Maultaschen vorzüglich. Und das, obwohl sie kurz zuvor noch in der Küche nachgeforscht hat, ob im Kühlraum wohl auch eine Leiche Platz hätte.
Info:
Alle Informationen über die Schifffahrt auf dem Neckar gibt es hier: neckar-kaeptn.de, Ausflugstipps für die Landeshauptstadt unter stuttgart-tourist.de
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Dieter Buck
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